
Julia Siegmund
*1974 in Friesoythe
lebt und arbeitet in Nordhorn und Münster
Website: www.juliasiegmund.de
Durchlässige Köpfe, verloren wirkende Körper, die auch noch dem Betrachter den Rücken zuwenden, Wörter, Geschriebenes und Textfragmente – das sind nur einige wiederkehrende Gestaltungselemente in der künstlerischen Arbeit von Julia Siegmund, die von Sensibilität, großer Spannung und einem hohen Grad an poetischer Verzauberung gekennzeichnet ist. Immer kommen einem Geschichten in den Sinn, die aber nie richtig konkret werden. Eindeutigkeiten gibt es nicht.
Beispielhaft ist eine Wandzeichnung zu nennen. Ein Mann sitzt mit dem Rücken zum Betrachter, eine Hand aufgestützt, und sieht suchend in den imaginären Raum. Die weiße Wand ist die Projektionsfläche, auf die der Betrachter mit ihm blickt. Ein Naturfreund könnte das sein, der entspannt die Gegend ansieht. Aber auch ein Einsamer, oder einer, der endlich die Welt frei in den Blick nehmen möchte. Drei Wörter sind zu der kleinen Szene gesetzt: „anderswo ist hier“. Der Betrachter wird in einen freien poetischen Raum geführt, und er kommt ins Reflektieren, Denken, Deuten. Julia Siegmund arbeitet mit einem Mix aus Zeichnung, Malerei, Installation und Wort und eröffnet dadurch mehrere Bedeutungshorizonte. Bezeichnend ist der Umgang mit der Linie in vielfältiger Form: als Fäden durch den Raum gespannt oder auf die Wand geklebt, im Tiefdruckverfahren gedruckt, gezeichnet, geschnitten, gekratzt, gemalt, gefräst oder pastos und reliefartig direkt aus der Tube gedrückt. Die entstandenen, kleinformatigen Bilder fügt sie oft zu einem erzählerisch wirkenden Tableau zusammen. 2016 erwarb die Kunstsammlung des Deutschens Bundestages solch eine 24-teilige Werkgruppe von Julia Siegmund.
Im Rahmen dieser Kombination aus verschiedenen Ausdrucksformen lässt sich die Künstlerin auch von dem bekannten österreichischen Lyriker H. C. Artmann inspirieren. Wie sie selber sagt, entstehen beim Lesen der Texte Artmanns Bilder im Kopf. Diese Bilder sind beileibe keine einfachen Illustrationen der Gedichte, die es bei den vom Surrealismus und Dadaismus geprägten H. C. Artmann auch kaum sein können. Die Bilder von Julia Siegmund sind abstrakt und leben von Andeutungen. Tiere und Menschen erscheinen in Umrissen oder sind in altmeisterlicher Art detailreich zusammengefügt. Die Verknüpfungen bleiben der Fantasie des Betrachters überlassen. Wer sich auf gedankliche Abenteuer begeben will, ist bei Julia Siegmunds Werk bestens aufgehoben.
(Text: Andreas Meistermann)